Sven Roewer pilgert auf dem Jakobsweg – II

Castrojeriz – 10. 4. 2009 – Heute ging es nach Castrojeriz. 20 Kilometer. Es regnete schon die ganze Nacht und auch beim Aufbruch um 8.30Uhr hatte der Himmel alle Schleusen geöffnet! Es gab zwar ein paar Regenpausen aber im Grossen und Ganzen war es bis abends sehr feucht. Im Fernsehen gab es vorhin Bilder aus Madrid, wo es heute schneite. Die Temperaturen erreichten kaum 10 Grad, da habt ihr es in Berlin ja um einiges besser! Der Weg war heute durch den Regen total aufgeweicht und es bildeten sich riesige Lehmklumpen unter den Schuhsohlen. Noch schlimmer erwischte es die Radpilgerer, an den Reifen blieb der ganze Matsch hängen und ließ sich kaum entfernen. Auch waren die Schaltungen sowie Bremsen total verschmutzt und die Räder konnten nur noch geschoben werden.

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Castrojeriz

In Hontanas bin ich in einer kleinen Bar eingekehrt und habe ganz leckeren Kuchen gegessen. Dort traf ich auch Peter aus Eindhoven wieder. Ich sah ihn das erste mal in Puente la Reina und wir gingen den Weg bis Castrojeriz gemeinsam weiter.Unterwegs erzählte er mir, das er aus Dankbarkeit für sein schönes, erfülltes Leben nach Santiago pilgert. Seit Tagen hat er eine tiefgehende Entzündung am linken Knöchel, der obendrein auch noch dick geschwollen ist. Eigentlich müsste er zum Arzt … ! Unsere Herberge ist ein ehemaliger Kuhstall der jetzt 40 Betten beherbergt (Kühe sind keine mehr da). Wir sind ungefähr 12 Leute die hier heute übernachten. Der Stall ist ungeheizt und es zieht an allen Ecken, das heißt dick einmummeln heute Nacht. Lars und Johanna treffen auch noch ein und es gibt ein großes Hallo. Kenne beide auch aus Puente la Reina. Johanna ist mit Peter befreundet und Lars kommt aus Lübeck. Wir essen gemeinsam und haben uns viel zu erzählen, trotzdem machen wir zeitig Schluss da wir unsere Schlafsäcke anwärmen müssen. Es ist so kalt, dass ich mir schon fast alles angezogen habe, was sich in meinem Rucksack befindet. Außer uns sind noch drei ältere Damen aus Australien hier abgestiegen. Ich nenne sie mal „Die Golden Girls“, weil sie genau so schrill und quiekend sprechen. Ich wünsche allen Lieben daheim ein schönes Osterwochenende.

 

Castrojeriz bis nach Villalcalzar del Sirganz
11. 4. 2009

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Erschöpft nach einer langen Strecke

11. 4. 2009. Heute bin ich 40 Kilometer von Castrojeriz bis nach Villalcalzar del Sirganz gelaufen. Die Strecke war anstrengend. Trotzdem ließ ich mich abends noch zu einer Geburtstagsfeier einladen. Es wurde ganz nett.

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Wie viele Pilger haben wohl schon hier gesessen?


Calzadilla de la Cueza

12. 4. 2009

Der heutige Weg war 23 Kilometer lang und endete in Calzadilla de la Cueza. Ich hatte den Abschnitt bewusst kürzer gewählt, da ich gestern nach dem langen Marsch am linken großen Zeh eine Schwellung am Nagelbett hatte. Aber Dank Bepanthen ist sie etwas zurückgegangen. Die letzten 12 Kilomter zogen sich endlos hin, da kein Dorf mehr auf dem Weg bis zur Herberge lag. Unterwegs traf ich einen alten Spanier, der Probleme mit der Hinterradbremse an seinem Fahrrad hatte. Dank meines Schweizermesser hatte ich das richtige Werkzeug dabei und so konnte er seine Fahrt auch bald wieder fortsetzen. Meistens ging ich an großen Feldern vorbei. Das Wetter ist sonnig bis wolkig und es gab zwischendurch einen kurzen Regenschauer. Es ist unglaublich, wie vielfältig die Vogelwelt ist. Es zwitschert überall! Gestern hatte ich das Gefühl, in Formista schlechtes Wasser aus einem Brunnen getrunken zu haben. Das wurde mir heute von Anja aus Kassel bestätigt, die vor mir in der Herberge ankam und der es nicht gut ging. Ich habe keine Probleme. Heute wird hier in der Herberge eine Ostermesse für die Pilger gehalten und danach werden uns die Füße massiert. Auch leistete ich mir eine Maschinenwäsche. Mein Herbergsvater machte alles vom Waschen bis zum Zusammenlegen. Die Herberge wird von einem Brasilianer und einem Iren geführt.

 

Bercianos del Camino
13. 4. 2009

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Kirche in Sahagun

13.4.2009. Nach 33 Kilometern war Bercianos del Camino das Ziel der heutigen Etappe. Die Sonne schien bei 18°. In der Herberge hatte ich Anja kennengelernt, die aus einem Brunnen schlechtes Wasser getrunken hatte. Ihr ging es nicht so gut ging. Wir zogen zusammen los. Ich befürchtet, dass ihr etwas passieren könnte und so kam es auch. Drei Kilometer vor dem nächsten Ort bekam sie Magenkrämpfe und konnte nicht mehr weiter. Ich trug ihren Rucksack bis zur nächsten Ortschaft. Von dort fuhr sie mit dem Taxi in die nächste Stadt zu einem Arzt. Obwohl ich aus dem gleichen Brunnen getrunken hatte, stellten sich bei mir keine Beschwerden ein.

Ich ging alleine weiter, was mir gut gefiel und begegnete unterwegs Anna-Dorith aus Dänemark. Sie war wie ein verrücktes Huhn und redete dauernd, was schnell nervte. Hinter Sahagun setzte sie ihren Weg endlich alleine fort. Die Herberge in Bercianos del Camino ist in Lehmbauweise errichtet. Abends gab es ein Essen mit 20 Pilgern, denen die Herbergsmutti einen Kessel Spaghetti gekocht hatte. Dazu gab es Wein.

 

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Pilger an einer Tafel

Mansilla de las Mulas
14. 4. 2009

Morgens, bevor es losging, habe ich mit zwei Pilgerinnen, Antje und Wibke, gefrühstückt. Letztere hat einen goldigen Humor und wir können herzlich lachen. Antje versteht dann nur Bahnhof. Wibke erzählte, daß sie zwei Koreanerinnen getroffen hat, die sich erst auf dem Jakobsweg kennenlernten. Ich sagte zu ihr, daß wäre das Gleiche, als wenn sich hier zwei Eskimos treffen. Wir lachten uns kaputt. Wibke versucht einen Bus nach Leon zu bekommen, weil sie starke Knieschmerzen hat.

Heute ging der Weg bis nach Mansilla de las Mulas. 27 Kilometer. Der Himmel war erst voller Wolken. Später kam die Sonne durch bei 13 Grad.

Die heutige Strecke war sehr eintönig und so konnte ich gut meinen Gedanken nachgehen. Ich habe viel über Freundschaft, Liebe und Geben ohne eine Gegenleistung zu erwarten, nachgedacht. Der Glaube, daß für alles im Leben gesorgt ist, wenn man es braucht, beschäftigte mich heute. Es ist viel Ehrfurcht in mir, weil ich daran teilhabe und es erlebe. Die Liebe wartet in Berlin auf mich. Auch das Loslassen von allem ist einfacher als gedacht. Diese Gedanken wurden durch eilige Schritte hinter mir unterbrochen. Ich drehte mich um und sah Anna Dorith, eine Pilgerin, die mir schon gestern mit ihrem Geplapper auf die Nerven ging. Es gab keinen Baum weit und breit zum Verstecken. Ich füge mich in mein Schicksal und wanderte mit ihr bis Mansilla. Unterwegs machte ich noch eine Pause, um Tagebuch zu schreiben. In Manilla verabschiedeten wir uns. Ich werde sie wohl auch nicht wiedersehen, da sie am 27.04.09 zurückfliegt. Also habe ich Ruhe.

Die Herberge ist sehr gemütlich mit einem Innenhof, der zum Entspannen einlädt. Johanna und Lars, die ich kennengelernt habe, sind auch hier. Später werden wir gemeinsam essen gehen. Ich habe neue Ohrhörer für meinen MP3-Player bekommen. Endlich wieder Musik!

León
15. 4. 2009

Vor dem Aufbruch sprach ich mit Wolf, einem Deutschen, der ständig in der Herberge von Mansilla de las Mulas lebt. Er behauptete glaubhaft, dass Coelho, McLaine und Kerkeling mit dem Auto oder dem Bus gefahren sind. Für mich spielt das keine Rolle. Mit ist die von ihnen vermittelte Botschaft wichtig.

Heute lief ich ca. 20 Kilometer bis León. Ich konnte ständig alleine wandern. Nur mit mir selbst; das war ein Erlebnis. Der Tag heute war wie das Wetter: Erst geriet ich fast auf die Autobahn und am Abend sangen die Engel für mich!

Als ich die Strasse überqueren musste, hatte ich, obwohl ich weiss, dass ich beschützt bin, ganz schön Angst und ich bin gerannt wie ein Hase. Beim Übersteigen der seitlichen Leitplanke flog ich auch noch in den Dreck und das alles mit den schweren Stiefeln und dem schweren Rucksack. Alles ging gut!

Die Herberge gehörte zu einem Nonnenkonvent. Im Schlafsaal befanden sich ungefähr 50 Männer und wir haben zwei WC, was Schlimmes ahnen lässt. Ich lernte Tune aus Norwegen kennen. Wir schwatzten ein bißchen, tranken einen Wein und gingen zur Pilgermesse. Sie war sehr schön, nur etwas lang, und meine Füße schmolzen zusehends in meinen Wanderstiefeln. Der Gesang der Nonnen war engelsgleich und diente dem Schutz der Pilger! Meine Hacken haben die lindernden Klänge wohl nicht gehört, da ich mir zwei Blasen gelaufen habe.

León nach Villadangos
16. 4. 2009

Die letzte Nacht habe ich trotz des starken Andrangs im Konvent gut geschlafen. Nur am Morgen, wen überrascht es, waren die Toiletten in einem katastrophalen Zustand.

Die Strecke ging heute über 20 Kilometer von León nach Villadangos. Zur Zeit regnet, hagelt und stürmt es, die Temperatur ist unter 10 Grad! Es soll in den nächsten Tagen auch schneien aber da ich noch vier bis fünf Tage von den Bergen weg bin, machte ich mir noch keine Sorgen um das Wetter.

Unterwegs machte ich eine längere Pause, da ich heute eh nicht so weit gehen wollte. Dann verlor ich noch mal komplett den Überblick und war schon auf dem Camino Nord. Ein Spanier sprach mich an und wies mich darauf hin, dass ich mich auf dem falschen Weg befand! Obwohl er zur Arbeit musste, nahm er sich die Zeit und brachte mich auf den richtigen Weg zurück! Das kostete ihn schlappe 20 Minuten! Die Strecke zu meinem Übernachtungsort verlief die ganze Zeit an der vielbefahrenen Strasse N120. Es machte mir aber nicht allzuviel aus, da meine Stimmung seit Tagen auf einem Hochpunkt ist. Ich konnte alleine wandern, sang und pfiff vor mich hin. So verging die Zeit wie im Fluge. Ringsumher zogen sich immer schwärzere Wolken zusammen und ich bat in Gedanken darum, trocken bis zur Herberge zu gelangen, was auch geschah. Ich öffnete die Herbergstür und in dem Moment fing es an, wie aus Kübeln zu gießen. Die Wolken ringsum boten einen phantastischen Anblick.

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Ein Unwetter zieht auf.

Zum Essen habe ich mir heute Spagetti mit Tomatensoße und Thunfisch gekocht. Es war sehr lecker. Meine Blasen habe ich aufgestochen, und hoffe, dass sie bald abheilen. Bergauf und gerade Strecken sind nicht das Problem aber bergab, wenn zuerst die Hacken aufgesetzt werden, ist es etwas unangenehm.

Das morgige Ziel ist der Ort Astorga. Dort endet die Durchquerung der kastilischen Hochebene ‚Meseta‘, die bei Burgos beginnt. Laut Wetterbericht soll es bis Sonntag regnen, besonders mittags, was weitere Regenhuschen verspricht.

Santibanez
17. 4. 2009

Heute ging die Strecke nach Santibanez. 16 Kilometer. Die Sonne schien und es waren 16° Celcius. Mein Blick fiel oft auf die kommenden Berge. Oben liegt Schnee. Der Weg führte heute an der N120 entlang und es ging über die Via Traviana die Hügel hinauf durch Heidelandschaft. Dort sah ich viele wilde Orchideen und Schmetterlinge am Wegesrand, aber Schmetterlinge habe ich ja eh von zu Hause mitgebracht. Die Herberge ist total schräg. Als Inventar sind dort 2 Eßtische, 1 Altaruntertisch, 2 Sofas und 1 Kanonenofen in der Mitte (der ordentlich beheizt ist) angeordnet. Dazwischen thronte Hercules, der Herbergsvater. Er sah aus, als ob er gerade einen Joint geraucht hatte. Nebenbei verarztete er meine Wunden und bekochte uns, wunderbar. Wir, das waren heute 5 Leute, 2 Franzosen und 2 ältere Damen aus Finnland.

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Der Herbergsvater

Ich hoffe inständig, daß meine Füße durchhalten. Den einen Hacken habe ich schon durchgelaufen. Ein Glück, dass ich genug Blasenpflaster mitgenommen habe. Ansonsten ist alles bestens, mir geht es sehr gut und die Zeit vergeht wie im Fluge.

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Santibanez nach Muria de Rechivaldo
18. 4. 2009

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Prozession in San Justo de la Vega

18. 4. 2009. Der heutige Strecke führte von Santibanez nach Muria de Rechivaldo – 17 km. Nach einem guten Frühstück, wobei mir die finnischen Ladys rauchend Gesellschaft leisteten, ging es in den neuen Tag. Übrigens „Guten Morgen“ auf Finnisch heisst: Hyvaeae Hvomenta! Durch sanft geschwungene Hohenzüge nähere ich mich Astorga, zum Teil geht es durch Eichenwälder mit Stämmen voller Moos. Der Wegverlauf auf der Via Traiana ist schon sehr holperig, meinen Füssen sehr zur Freude. Es ist beeindruckend, daran zu denken, dass vor zweitausend Jahren die Legionäre Roms hier entlangzogen. Das Wetter ist toll, ganz anders als vom Wetterbericht vorhergesagt. Mir soll es recht sein. Habe ständig den Blick auf die vor mir liegenden Berge, tolles Panorama! In San Justo de la Vega (einem Vorort von Astorga) gerate ich in eine Prozession. Das ganze Dorf ist auf den Beinen und alle sind festlich gekleidet. Der Heiland und die Mutter Gottes werden dem Festzug voran getragen und das alles unter lautstarken Trompeten und Fanfaren. In Astorga suche ich erstmal die Apotheke auf, wo ich mir antibiotische Salbe und Jodtinktur besorge.

Ausserdem muss ich auch mal wieder frisches Obst essen. Zwei Milchkaffee mit Blick auf den kitschigen Bischofspalast lassen mich neue Kräfte schöpfen. Auch die Kathedrale lasse ich unbesichtigt hinter mir und verlasse Astorga in Richtung Muria de Rechivaldo. Dort finde ich einen neugestalteten Albergo vor, allerdings glänzt die Herbergsgemeinschaft mit aufgesetzter Freundlichkeit. Ich beschließe hier auch das Abenddinner einzunehmen, welches vom Herbergsvater in den höchsten Tönen gelobt wurde. Es stellte sich dann aber heraus , daß die Portionen sehr winzig sind und ich schon eine Lupe brauche, um zu sehen was da so alles auf dem Teller ist. Wenn ich nicht mehrmals Brot nachbestellt hätte wäre ich wohl mit knurrendem Magen ins Bett. Die Pilger hier sind alles ältere Herrschaften. Viertel vor sieben werden die ersten unruhig, den um sieben ist ja die Fütterung. Das erinnert mich alles sehr an Ferienheimstimmung. Was mir gut gefallen hat, waren die sauberen Sanitäranlagen.

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3 Gedanken zu „Sven Roewer pilgert auf dem Jakobsweg – II

  1. Hi Sven, lieben Dank für Deine Grüße. Die Daheimgebliebenen (Max, Christian, Wolfgang, Uli und Detlef) wünschen Dir weiter viel Kraft und Durchhaltevermögen. Einen kleinen Osterhasen heben wir Dir auf.
    Liebe Grüße aus Berlin – Karin

  2. Hallöle Sven, deine Berichte finde ich klasse. Mach weiter so!
    Mit 50 Männern (oder Frauen oder beides) würde ich nur ungerne die Nacht in einem Raum verbringen. Das Gepupse, Geschnarche, zum Klo gehen usw. wären nichts für mich. Dennoch, der Rest scheint sehr schön zu sein. Gibt es unterwegs auch romantische zwischenmenschliche Kuschelmomente unter den Pilger/innen? Bienchen

  3. Hi Sven, gute Besserung für Deine Füße. Die Hälfte ist geschafft. Liebe Grüße Karin und Max

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