Geburtsjahr 1894: Zwei Kriege, Weltwirtschaftskrise und Geldentwertung

Mein Großvater kam 1894 auf die Welt. Er lernte in der väterlichen Werkstatt den Beruf des Stellmachers (Wagenbau mit Holzrädern für die Landwirtschaft oder Gütertransporte) und bestand 1912 als 16jähriger seine Gesellenprüfung. Dann folgen Arbeitsjahre bei anderen Stellmachern. Das war damals üblich. Man nannte sie Wanderjahre, die vor der Meisterprüfung zu absolvieren waren.  Vier Wochen nach seinem 18. Geburtstag wurde er als Soldat für den ersten Weltkriegs einberufen. Stationen und Kämpfe: Ostfront, Masuren (Ostpreußen), Warschau, Rumänien und Frankreich. Im August 1918 geriet er in Flandern in Kriegsgefangenschaft, aus der er 1919 entlassen wurde.

Dort notierte er in einem kleinen Heft Ereignisse, Gedanken und Gedichte, die klar vermitteln, dass er diesen Krieg fürchterlich fand und seine Jugendjahre damit vergeudet sah. Er sehnte sich zutiefst nach einem bürgerlichen einfachen Leben. Die Zeilen könnten als Vorlage für einen kritischen Kriegsroman von Remarque hergehalten haben. Akribisch genau vermerkte er, wem und wann er Post schickte und von wem er welche empfing. Die Kriegsgefangenen konnten Pakete mit Lebensmitteln aus der Heimat empfangen. Seine Familie, die auf dem Land lebte, konnte sie erübrigen, was Familien in Städten mit großer Nahrungsmittelknappheit nicht möglich war.

Prisoner of War im ersten Weltkrieg. Kriegsgefangenschaft

Nach dem Krieg besuchte er eine Wagenbauschule und lernte den Bau von Automobilen kennen. Das waren Anfang der zwanziger Jahre noch recht abenteuerliche Modelle und er zeichnete diverse Designs. Dann arbeitete er als Stellmacher und an den Notizen über Einnahmen und Ausgaben kann man sehr gut die groteske Geldwertentwicklung der Weimarer Zeit erkennen. Aber auch, dass vor allem behördliche Abgaben abgerechnet wurden. Vieles andere scheint wohl auf Basis Ware gegen Ware oder gegen Dienstleistung von der ländlichen Bevölkerung abgewickelt worden zu sein. Der Bauer brauchte die Dienstleistungen eines Stellmacher und der Stellmacher die Produkte des Bauern. Abgesehen davon hielten die Leute auf dem Land lebenden Menschen auf ihren Höfen ein Schwein, Kleinvieh und Hühner und sie hatten Obstbäume.

In der Weimarer Zeit heiratete er. In den frühen 1930ern kam mein Vater auf die Welt und nach schweren Jahren schien nun das Leben meines Großvaters in besseren Bahnen zu verlaufen. Doch dann folgte die Zeit des Nationalsozialismus und erneut wurde mein Großvater gemustert und erhielt 1937 als 43-jähriger einen Wehrpass. Der Gesichtsausdruck auf dem Foto darin vermittelt alles andere als Zustimmung. Bei Kriegsanbruch, zwei Jahre später, hatte er insofern Glück, dass er nicht als Soldat an die Front musste, sondern seine Fähigkeiten als Stellmacher beim Bau von traditionellen Wagen mit Holzrädern für die Landwirtschaft und den Krieg genutzt wurden. Sein Heimatort Niedersachsen war zum Ende des Krieges auch kein Kriegsschauplatz, sodass die Stellmacherei erhalten blieb.

Als Mann in Deutschland im Jahr 1894 geboren worden zu sein, war in der Lotterie des Lebens eine echte Niete. Aufzuwachsen während der Kaiserzeit, um dann in einen finsteren blutigen Krieg geschickt zu werden, dessen Ursache bis heute schwer zu verstehen ist. Darauf folgend diepolitischen und gewaltsamen Wirren zwischen Konservativen und Kommunisten sowie die Weimarer Zeit mit ihrer schweren Wirtschaftskrise und massiver Geldentwertung bis hin zu Zeit des Nationalsozialismus und dem 2. Weltkrieg, um erst ab 50 ein ruhigeres Leben führen zu können.

Wir können heute sehr dankbar dafür sein, dass wir solche Kriege nicht erleben müssen. Umso befremdlicher sind die aktuellen militärischen Einsätze der Bundeswehr in Afghanistan, Mali und nun die Truppenübungen nahe der russischen Grenze. Auch die irre Einwanderungspolitik einer Politikerriege in der EU, vor allem in Brüssel, in Deutschland und in Schweden wirft die Frage auf, ob diese Leute nichts aus der Geschichte gelernt haben. In der EU wird momentan eine grobe Verschärfung der Sicherheitslage hingenommen durch den Unwillen der politisch Verantwortlichen, ihre territorialen Grenzen besser zu schützen und zugleich ärmeren Ländern eine effizientere Strukturentwicklungshilfe anzubieten. Stattdessen findet eine feindselige Polarisierung politisch Andersdenkender statt, wie in der Weimarer Zeit. Die Gefahr, dass dies zu Bürgerkriegen führt und einer Spaltung der EU mit dramatischer Abwertung des Euro, pfeifen doch mittlerweile die Spatzen von den Dächern. Spätestens seit dem Brexit und den Spannungen zwischen Victor Orban und Angela Merkel sollte doch jeder sehen, wohin der Zug fährt.

Die Biografien unserer Vorfahren sind lehrreich. Sie vermitteln uns, welche entsetzlichen Dinge das Leben von Menschen bestimmen können, wenn die politisch Verantwortlichen grobe Fehler machen. Spätere Generationen machen dann alle ihre Zeitgenossen zu Mitverantwortlichen, ob sie nun dafür oder dagegen waren.

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