Die Wanderschuhe

Nach einigen winterlichen Ausflügen machte ich mir Sorgen wegen des Schuhwerks von meiner Freundin. Sie hatte nichts Passendes und wollte über robuste Schuhe nicht reden, bwz. sich keine aussuchen. Deshalb kaufte ich ihr in der Sportabteilung von Karstadt Wanderschuhe mit knöchelhohen Schäften und hoffte, dass sie passten. Es waren ihre ersten und sie hatte bislang keine vermisst.

schuhe20090301-032
Schuhe für Stock und Stein?

Irritiert begutachtete sie die klobigen Treter. An den Füßen erwiesen sie sich als  Folterinstrumente. Sie drückten vorne, hinten und an den Waden. Wir machten einen Spaziergang. Danach brannten ihre Füße, die deshalb ein warmes Fußbad und Balsam nötig hatten. Wir beschlossen, die Schuhe umzutauschen. Ich hatte sie bei Karstadt an der Müllerstraße in Berlin Wedding gekauft. Wir erreichten es kurz vor Ladenschluss. Ein freundlicher Verkäufer meinte, dass er diese Schuhe nicht mehr in einer Nummer größer hatte. Er untersuchte die Position ihrer Zehen in den Schuhen und fand, dass sie den richtigen Abstand zur Vorderkante der Schuhe hatten. Also müßten sie passen und er ermunterte sie, den Schuhen vor der Rückgabe noch eine Chance zu geben. Sie sollte mit ihnen in der Wohnung umherzulaufen, um die Füße an die ungewohnte Bekleidung zu gewöhnen.

Das nächste Wochenende kam. Sie hatte die Schuhe nicht wieder getragen und wir wollten einen Spaziergang machen. Es war Winter, die Wege waren noch vereist. Aber es taute und der Schnee war matschig und überall waren Pfützen. Wir zogen die winterfesten Wanderstiefel an. Kaum unterwegs, drückten ihre, aber sie biss die Zähne zusammen. Doch half das nicht, die Schuhe drückten zu sehr. Wir unterzogen sie einer sorgfältigen Reinigung. Anschließend sahen sie aus wie neu. Sie hatten die Wanderung durch den schmelzenden Schnee um den Plötzensee ohne Makel und eindringendes Wasser überstanden. Wenigstens waren die Füße trocken und warm geblieben. Die Wanderschuhe legten wir wieder ordentlich in den originalen Karton und zogen los, um sie zurückzugeben.

Diesmal schafften wir es eine halbe Stunde vor Ladenschluss und gerieten an einen anderen freundlichen Verkäufer bei Karstadt. Sie legte ihm den Schuhkarton auf den Tisch. Mit kritischem Blick holte er die Schuhe raus, beäugte sie gründlich und meinte, dass sie schon getragen waren. Verdrossen den Kopf schüttelnd erklärte er, dass eine Rückgabe oder ein Umtausch so ausgeschlossen seien. Sie wandte ein, dass sein Kollege in der Woche vorher dazu geraten hatte, die Schuhe einzulaufen. Daraufhin war er bereit, sie aus Kulanzgründen zurückzunehmen würde und hielt uns einen engagierten und langen Fachvortrag über die Wahl von Wanderschuhen. So erfuhren wir, dass sie keine Schuhe, sondern Sportgeräte waren. Er fragte sie, welche Socken sie in den Wanderschuhen getragen hatte. Die hatte sie dabei und zog sie aus ihrer Handtasche. Der Verkäufer schaute sie fassunglos an und sagte: „Sie haben alles falsch gemacht, was man sich nur denken kann.“

schuhe20090301-040
Die falschen Wandersocken

Neben ihm stand eine kleine, ca. 1,2 Meter kurze Holzbrücke, die gut in einen japanischen Garten gepaßt hätte. Er wies zu ihr und sagte, dass Wanderschuhe unbedingt darauf zu erproben seien. Meine Freundin warf mir einen Seitenblick zu. War das ernst gemeint? Ihr werdet ahnen, wie es weiterging. Aus der Rückgabe wurde ein Umtausch.

Der Verkäufer gab nicht auf. Er schleppte andere Wanderschuhe herbei und zog ihr sogar Wandersocken an. Danach probierte sie das erste Paar Schuhe aus und schien endlich Gefallen an der Sache zu finden. Der Verkäufer schnürte sie ihr ganz fest zu und führte sie zu seiner Minibrücke, der sogenannten Laufstrecke! Vorsichtig stellte sie sich darauf und trat aus gutem Willen ein wenig auf der Stelle und probierte den Stand auf den Schrägen. Der ‚Gipfel‘ dieser Brücke, der mit einem Schritt zu erreichen war, bestand aus einem ca. 40x40cm messenden Becken, in dem lose runde Steine lagen. Angeblich halten sich einige Kunden über drei Stunden bei den Wanderschuhen auf, um einen Schuh nach dem anderen zu testen, erfuhren wir. Außerdem wäre ein Wanderschuh, der anfangs nicht drückt, kein gutes Sportgerät. Sie zeigte ihm ihre leichten Stiefelletten. Damit lief sie auch im Wald auf nassen, schlammigen Wegen umher. Der Verkäufer guckte regungslos. Schließlich  holte er Wanderhalbschuhe ohne Schaft, die er nur ungern präsentierte, weil wir inzwischen auch gerissene Sehnen bei umgeknickten Füßen im rauhen Gelände thematisiert hatten. Sie sagte, dass die Halbschuhe auch nicht geeigneter sein könnten, als ihre Stiefelletten. Der Verkäufer rang sichtlich um Fassung. Er hielt dagegen, dass eine feste Vibramsohle etwas völlig anderes sei, als die dünnen, fast profillosen Plastiksohlen der Stiefelletten. Er demonstrierte eindrucksvoll, dass die feste Sohle des Wanderschuhs auch dann noch trägt, wenn der Weg schmaler ist als die Sohle.

Er gab nicht auf und holte weitere Wanderschuhe. Früher hatten die Menschen nur Lappen um ihre Füße, raunte sie mir zu. Trug nicht der Gletscher-Ötzi vor 5000 Jahren in den verschneiten Alpen mit Heu gefüttertes ‚Schuhwerk‘ mit einer dünnen Sohle aus Bärenleder? Endlich hatte sie ein Paar, das gut zu passen schien. Eine Stimme aus dem Mikrophon drängte zum Verlassen des Kaufhauses. Der Verkäufer begleitete uns zur Kasse und wir bedankten uns für seine Geduld, die er wahrlich erwiesen hatte.

Epilog: Sie hat die Wanderschuhe gerne bei schlechtem Wetter getragen.


schuhe20090301-038
Wanderschuhe neben Stiefelletten

Ein Gedanke zu „Die Wanderschuhe

  1. Lieber Autor, herzlichen Dank für diesen lustigen und lebendigen Beitrag. Ich konnte mich vor Lachen kaum auf meinem Stuhl halten. Die Schuhgstory könnte aus meinem Leben sein. Ich freue mich auf weitere humorvolle Geschichten des Lebens.

Kommentare sind geschlossen.

Nach oben scrollen