Andalusische Tapas. Von der Unmöglichkeit des Verhungerns

„Essen Sie nicht zuviel!“ Mit diesen Wörtern verabschiedete uns die Vermieterin unseres Appartements als wir uns auf den Weg machten, um den Abend im alten Stadtkern des Ortes Almunecar an der Costa del Sol in Spaniens Andalusien zu verbringen. Im Laufe des Abends erfuhren wird den Sinn dieses seltsamen Grußes.

An der Promenade am Meer bestellten wir unser erstes Bier in einem Lokal, in dem der Fernseher ein Fußballspiel übertrug. Die Gläser waren klein und enthielten ca. 0,2 Liter. Der Kellner polierte Gläser und mein Kumpel unterhielt sich mit ihm über das Spiel. Es machte wenig aus, dass sie keine gemeinsame Sprache hatten. Einige Gesten und wenige Brocken Spanisch auf der einen Seite und drei Wörter Deutsch auf der anderen schienen auszureichen. Einer bot dem anderen eine Zigarette an. Der andere hatte rasch sein Feuerzeug parat. Sie pafften gemeinsam, alles im Lot.

Diesem gemütlichen Kontakt an der Bar eines während der Nebensaison auf Abendgäste wartenden Restaurants schrieb ich zu, dass uns zum kleinen Glas Bier Teller mit Migas, einer Griesspeise der andalusischen Bauern gereicht wurden. Vermutlich hatte die Küche zuviel bereitet und nun sollte es weg. Falsch gedacht!

Wir zogen weiter. In der nächsten Bar hingen luftgetrocknete Schinken aus Trevelez an der Decke. An ihren unteren Enden waren kleine Plastikschirme umgekehrt angesteckt, damit eventuell tropfendes Fett sich darin sammelte und nicht auf den Köpfen der Gäste. Wir bestellten jeweils eine Caña, um herauszufinden, ob wir das richtige Wort für das kleine gezapfte Bier gelernt hatten. Es klappte. Dazu reichte uns der Wirt kleine Teller mit Oliven, Schinkenabschnitten und einer Scheibe vom Stockbrot. Nicht viel, aber als Beilage zum Bierchen, das hier wieder in kleinen Portionen ausgeschenkt wurde, ungewöhnlich.

Spanien, 1997, Alpujarras, Trevelez (1476 m) gehört zu den weißen Dörfern in den Alpujarras. Dort werden luftgetrocknete Schinken produziert.
Luftgetrocknete Schinken in Trevelez.

Im nächsten Laden klang das „Dos cañas, por favor.“ schon routiniert und wieder stellte der Kellner ein Tellerchen dazu. Diesmal lagen rote Garnelen darauf. Im Hintergrund bereitete eine Kraft Speisen zu, die in kleinen Portionen auf Untertassen verteilt wurden. War ein Gang fertig, stellte der Kellner jedem Gast ein Tellerchen hin. Tapas, hier „Tapilla“ genannt.

Offenbar war es eine lokale Sitte, das spanische Fingerfood großzügig und gratis als Dreingabe zum gar nicht so teurem Gerstensaft oder anderen alkoholischen Getränken zu verteilen. Die kleinen Speisen erwiesen sich als äußerst vielfältig. Frittierter Fisch, Garnelen, gebratenes Fleisch und Würste, Schinken, Oliven, Brot und weiteres wurden gereicht. So lief das den ganzen Abend bis man satt und besoffen war, wenn man nicht rechtzeitig aufhörte. Schnell übernahmen wir das Verhalten der Einheimischen die darauf achtgaben, was gerade zubereitet wurde und ihr Getränk zeitlich passend bestellten, damit sie die gewünschte Beilage bekamen. Einen Gang auszulassen, hieß eine Runde Bier auszulassen. So lief das hier.

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Garnelen. Nicht jedermanns Sache, aber lecker.

Einige Tage später waren wir in Granada, nicht zuletzt bekannt durch die Alhambra, einer burgähnlichen Ansammlung aus Bauwerken maurischen Stils. In den Gassen von Granada gabt es reichlich Bars, die von der einheimischen Bevölkerung zu allerlei Anlässen auf einen Schluck besucht wurden. Zur kurzen Arbeitspause, Mittags, Nachmittags gingen die Spanier für ein paar Minuten rein, schwatzten mit den Anwesenden, tranken ihren Fino oder ihr kleines Bier und zogen weiter. Bis spätabends und länger ging das so. In kleinen Läden schufteten die Kellner und wahre Meister der Zubereitung von Tapas unermüdlich auf engstem Raum. Wer gute Tapillas servierte, hatte reichlich Gäste. Die Quantität und Qualität der leckeren Zugaben bewegte sich hier auf einem sehr hohen Niveau. Die Geschwindigkeit der Zubereitung bewies jedem Küchenmuffel, dass Köstliches in wenigen Minuten herstellbar war. Das Stehen an der Bar glich einem Kochkurs, denn vieles wurde vor den Augen der Gäste bereitet.

In diesem Teil Andalusiens wurden die Tapas großzügig serviert und von den Gästen mit intensiver Selbstverständlichkeit sowohl erwartet als auch genossen. Wir rätselten über die Herkunft dieser aus unserer Sicht teuren Zusatzleistung. Wir verstanden nicht, wie sie finanziert wurden und konnten diesen Teil des Rätsels nicht lösen. In Gesprächen mit anderen erwies sich eine Überlegung als überzeugend. Wegen der Fliegen wurden einst Untertassen auf die Gläser gelegt, damit die Getränke sauber blieben. Dann wurde es Sitte, eine kleine Speise darauf zu legen.

März 1997. Spanien. Andalusien. Granada. Alhambra. Maurische Architektur
Granada. Alhambra. Maurische Architektur

An der Costa del Sol und ihrem Hinterland entwickelte sich daraus eine variationsreiche Palette an Tapas und beinahe konnte man meinen, dass ihre Zubereiter in einer Art nie endendem Wettstreit um die höchste Kochkunst lagen, in dem die Gäste zur Jury erklärt und dementsprechend äußerst zuvorkommend behandelt wurden.

„Essen Sie nicht zuviel!“ bedeutete, „Saufen Sie nicht zuviel.“ Die Vermieterin hatte es gut gemeint.

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