Heute schon geheiglt? – Sich bewegen, länger leben

Berlin. Allerlei Leute mit unterschiedlichsten Ansichten, Wünschen, Perspektiven, Religionen und Herkünften leben hier. Schrott sammelnde Türken, Pfandflaschen suchende arbeitslose Akademiker, erfolgsverwöhnte Investoren, rücksichtslose Taxifahrer, volksferne Politiker, lebensmüde Radfahrer, dauerhaft ungelöste Integrationsprobleme, Quartiersmanagement, ehemalige Idealisten, nette Leute, unangenehme Leute und mehr bilden einen Mix aus engen Hartz-IV Verhältnissen und unbekümmertem Reichtum. In diesem Milieu brodeln Ideen zur Lebensgestaltung und Existenzsicherung. Auf Anschlägen an Bäumen und Aushängen im Supermarkt steht:  ‚Hund entlaufen‘, ‚Schlüsselbund verloren‘, ‚Gebe Klavierunterricht‘, ‚Helfe bei PC-Problemen‘ oder Werbung für das ‚Gemeinsame Frühstück mit Migranten‘.

Es werden Kurse über Gesundheit, Sport und Freizeit angeboten, Wahrsagerei, esoterische Heilkünste, Bauchtanz, asiatische Kampfsportarten und mehr. Gelegentlich gibt es Offerten, die selbst den erfahrenen Berliner überraschen.

Wie beispielsweise das ‚Heigln‘. Der Unkundige assozziert mit dem Begriff eine mentale Geburtsvorbereitung mit Atem- und Preßübungen oder ein Treffen von Müttern mit Babys in cremefarbenen Frottee-Strampelanzügen und Schnullern, die gelegentlich runterfallen.

Weit gefehlt. Im Internet steht eine andere Geschichte. 1901 wurde Heinz Heigl geboren, der 1919 Soldat wurde. Wie das nach dem gerade verlorenen Weltkrieg mit einem Überschuss aus heimkehrenden Soldaten möglich war, entzieht sich unserem Verständnis. Jedenfalls wurde Heigl ein Offizier und brachte es schließlich bis zum Rang Oberst.

1983. Heinz Heigl auf Amrum (mit 82 Jahren) / Quelle: KTMH e.V.
1983. Heinz Heigl auf Amrum (mit 82 Jahren) / Quelle: KTMH e.V.

Heigl war sportlich. Er nahm an den Ausscheidungswettkämpfen für Degenfechter für die Olympischen Spiele teil. In Wünsdorf trainierte er Sportler für den ‚Fünfkampf‘, einer Mischung aus Freistilschwimmen, Reiten, Geländelauf, Pistole schießen und Degenfechten.

Dann folgte der zweite Weltkrieg. Während er für den vorangegangenen ersten Weltkrieg zu jung gewesen war, kam er diesmal nicht um eine Teilnahme herum. Der Krieg war für ihn mit Standortwechseln verbunden. Er diente unter anderem an der Ostfront und geriet schließlich in russische Gefangenschaft, die fünf Jahre dauerte. Dort begegneten sich Gefangene aus Europa und Japan, das erst durch die atomare Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki zur Kapitulation gezwungen wurde. Ein hochrangiger japanischer Offizier absolvierte mit seinen Landleuten ein tägliches Training. Heigl fiel auf, dass die Sterblichkeitsrate unter den japanischen Gefangenen deutlich geringer war, als bei den Deutschen und begann, seine mitgefangenen Landsleute in ähnlicher Weise zu trainieren.

Heigl übernahm asiatische Elemente, wie Schwungübungen und entwickelte daraus seine eigene Form der Konditions-Therapie.

Nach der Gefangenschaft heiratete Heigl seine Ehefrau, die er vor dem Krieg im Umfeld der olympischen Spiele kennengelernt hatte. Er wurde mit diplomatischen Aufgaben im Nahen Osten betraut und organisierte in Syrien den Aufbau einer Sportschule.

 1963 wurde Heigl in den Ruhestand versetzt, doch fand er eine neue Aufgabe, die der alten ähnlich war. Die Heigls waren nach Duddenhausen gezogen. Heigl beobachtete, dass die dort lebende Landbevölkerung durch die jahrelange schwere körperliche Arbeit gesundheitliche Probleme hatte. Das Tragen von schweren Lasten, das Schwingen der Heugabeln und weitere seinerzeit übliche Bauerarbeiten hatten vielfach zu Haltungsproblemen geführt, denen Heigl mit gezieltem Bewegungstraining entgegnete. Er baute seine Trainingsmethoden aus, nannte sie zunächst ‚Modernes Körpertraining‘ und später ‚Konditions-Therapie Methode Heigl‘. Sie beschränkte sich hinsichtlich ihres Nutzens nicht auf die oben genannte Landbevölkerung, sondern ist eine Methode für Jedermann, auch für Kranke.

Aus seinen Erfahrungen während der Kriegsgefangenschaft und seiner späteren Arbeit enstand das Motto: „Sich bewegen – länger leben.“

Das Ehepaar Irmhild und Heinz Heigl verbreitete ihre Methode und bildete zusätzlich Anleiter aus, um das Heigln, wie man das Training nannte, weiträumig anzubieten. Heigls  Bewegungsmethode funktioniert ohne Sportgeräte. Der eigene Körper reicht aus. Atmung und Bewegung, darum geht es. Die Übungen sind leicht und sollen ohne Wettkampfgedanken ausgeführt werden. Das Heigln soll im Freien stattfinden, auf ‚gewachsenem Boden‘, wie Heigl es nannte. Ein Verein, der 1993 gegründet wurde, soll die Heigls Methode, die er schriftlich festgehalten hat, erhalten. Seine Ehefrau Irmhild, die ihren Mann überlebte, war eine der Gründungsmitgliederinnen.

Das Heigln ist auch für Senioren geeignet. Mit ‚Rüstig statt rostig‘, wirbt eine Lehrkraft für ihr Angebot. Erfrischend ist die mystik- und esoterikfreie Philosophie hinter dem Ansatz. In der Regel sind die Kostenbeiträge für die Teilnehmer gering, sofern das organisatorisch möglich ist.

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